Dr. Stefan Lang am 28. September 2016

Das ist mir zu vage: Die Sprache medizinischer Texte


Kategorie Kampagne für Verständlichkeit

Ein Text muss nicht immer komplett unverständlich sein, um seine Wirkung beim Leser zu verfehlen. Es genügt bereits eine Häufung von vagen und unklaren Aausdrücken, die den Sinn eines Textes ins Nebulöse abgleiten lassen.

Vage Ausdrücke in medizinischen Texten

Neulich bin ich auf eine Untersuchung medizinischer Texte gestoßen [1] die unter anderem en Beispiel aus dem Journal Klinikarzt [2] nennt:

Dem nephrotischen Syndrom liegen beim Erwachsenen unter anderem verschiedene idiopathische Glomerulonephritisformen zugrunde. Die Entstehungsmechanismen sind nicht vollständig aufgeklärt und die gegen die Krankheitsursache gerichteten Therapien sind dementsprechend unspezifisch. In der Regel bestehen sie aus der Gabe von Immunsuppressorien. (…) Die Erkrankungsrisiken des nephrotischen Systems und die stark geminderte Lebensqualität der Patienten werden (…) entsprechende Therapieversuche, die in nicht wenigen Fällen zumindest zur Teilremission führen, immer wieder unumgänglich machen bzw. rechtfertigen.

An und Pfirsich verständlich geschrieben

Der Text ist sachlich richtig. Die Länge der Sätze und die Sprache im Allgemeinen sind in Ordnung – nur der letzte Satz hat über 30 Worte und ist etwas schwer zu lesen. Abgesehen von den notwendigen Fachbegriffen Glomerulonephritis und Immunsuppressor benutzen die Autoren und Autorinnen einfache und gängige Worte. Eigentlich sollte dieser medizinische Text gut verständlich sein.

Zu viele vage Worte in medizinischen Texten

Dieser medizinische Text lässt bei mir ein unsicheres Gefühl zurück – der Inhalt wird mir nicht wirklich klar. Warum? Es liegt an der Sprache und der Vielzahl der „Vagheitsausdrücke“. Ein Vagheitsausdruck ist ein Wort (oder eine Formulierung), dessen Bedeutung per se ungenau ist, verschiedene Interpretationen zulässt oder auf Informationen verweist, die im Text nicht genannt werden (z. B.: unter anderem). Hier noch einmal das Textbeispiel, die Vagheitsausdrücke in fett:

Dem nephrotischen Syndrom liegen beim Erwachsenen unter anderem verschiedene idiopathische Glomerulonephritisformen zugrunde. Die Entstehungsmechanismen sind nicht vollständig aufgeklärt und die gegen die Krankheitsursache gerichteten Therapien sind dementsprechend unspezifisch. In der Regel bestehen sie aus der Gabe von Immunsuppressorien. (…) Die Erkrankungsrisiken des nephrotischen Systems und die stark geminderte Lebensqualität der Patienten werden (…) entsprechende Therapieversuche, die in nicht wenigen Fällen zumindest zur Teilremission führen, immer wieder unumgänglich machen bzw. rechtfertigen.

Hochdosiert ein Verständlichkeitskiller für medizinische Texte

Gegen jeden einzelnen dieser Vagheitsausdrücke ist nichts einzuwenden: Natürlich kann man mit unter anderem andeuten, dass es noch weitere Ursachen für das nephrotische Syndrom gibt. Selbstverständlich kann man mit entsprechend auf einen vorausgehenden Satz verweisen.

Vage Worte in Wissenschaftstexten (medizinische Texte).

Aber: Es ist eine Dosisfrage. Bei 9 Vagheitsausdrücken in nur 4 Sätzen wirken diese Vagheitsausdrücke als Verständlichkeitskiller – die exakte Aussage dieses medizinischen Textes driftet mit jedem dieser Ausdrücke weiter ins Nebulöse ab.

Fazit: Vermeiden Sie vage Worte in Ihrem medizinischen Text

Vermeiden Sie eine Häufung der folgenden Vagheitsausrücke; prüfen Sie bei jedem dieser Ausdrücke, ob Sie sich nicht genauer ausdrücken können:

  • unter anderem: Können Sie das konkretisieren? Beispiel: … liegen neben infektiösen Ursachen idiopathische Glomerulonephritisformen zugrunde ...
  • nicht vollständig aufgeklärt: Können Sie die Bandbreite einengen? Sind die molekularen Grundlagen unbekannt oder die konkreten Erreger?
  • in der Regel: Bezieht sich das auf Patientenzahl? Bei den meisten Patienten …
  • entsprechende Therapieversuche: Was spricht gegen den konkreten Namen? Therapie mit …
  • in nicht wenigen Fällen: Meinen Sie fast 100 %, 75 % oder 50 %?

[1] Ines-A. Busch-Lauer. Schreiben in der Medizin – Eine Untersuchung anhand deutscher und englischer Fachtexte. In: Jakobs, Eva-Maria/ Knorr, Dagmar (Hrsg.) (1997): Schreiben in den Wissenschaften. Peter Lang Verlag: Frankfurt/Main. (Link)
[2] Klinikarzt (1995/12, 635).