Dr. Stefan Lang am 08. März 2017
Scientific Misconduct: ‚kleine‘ aber häufige Sünden
Kategorie Schreib- und Publikationsprozess
Wenn man vom wissenschaftlichen Fehlverhalten spricht, meint man meist die großen Todsünden „fabrication, falsification, plagiarism“ – also das Erfinden, Fälschen und Plagiieren von Daten. Es gibt aber auch andere Formen wissenschaftlichen Fehlverhaltens, die vielleicht weniger extrem sind, dafür aber viel häufiger vorkommen.
In einer Umfrage unter 227 Kongressteilnehmer sollte herausgefunden werden, was die häufigsten Arten wissenschaftlichen Fehlverhaltens sind und welche die größten Auswirkungen auf das Vertrauen in die Wissenschaft haben (dieser Beitrag gibt den Artikel „Ranking major and minor research misbehaviors“ von Bouter et al. [1] gekürzt wieder).
Methode
Von 1345 eingeladenen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen nahmen 227 an der Umfrage teil. In der Umfrage sollten 60 Arten wissenschaftlichen Fehlverhaltens auf einer 5-Punkteskala beurteilt werden – entsprechend ihrer Häufigkeit und ihrer Konsequenzen für die Wissenschaftswelt.
Die Teilnehmenden stammten zumeist aus Nordamerika und Europa (59 %) und arbeiteten vorwiegend in der universitären Forschung (70 %) im Bereich der Biomedizin (58 %). Die Teilnehmer waren vorwiegend Professoren (full: 25 %; associate: 12 %; assistant: 7 %) und nur zum kleinen Teil Doktoranden (7 %) oder Postdocs (1 %).
Ergebnisse
Scientific Misconduct – Häufigkeit
Was waren nach Meinung der Teilnehmer die häufigste Arten wissenschaftlichen Fehlverhaltens? Hier die Liste der Top 5:
- Selektives Zitieren, um die eigenen Befunde zu stärken
- Unzureichende Betreuung/Anleitung von wissenschaftlichen Mitarbeitern
- Verschweigen (d.h. nicht-Publizieren, non-reporting) von negativen Ergebnissen einer validen Studie
- Einfordern/Akzeptieren einer Autorenschaft, ohne dass die Voraussetzungen hierfür vorliegen
- Selektives Zitieren, um Herausgebern, Gutachtern oder Kollegen zu gefallen
Wie wird die Häufigkeit der wissenschaftlichen Todsünden – fabrication, falsification, and plagiarism – eingeschätzt? Nach Meinung der Teilnehmer treten diese großen Verfehlungen deutlich seltener auf:
- Verwendung veröffentlichter Ideen oder Textpassagen anderer, ohne auf diese zu referenzieren – Plagiarismus (Rang 12)
- Verwendung einzelner Teile einer eigenen Publikation, ohne auf diese zu referenzieren – Selbstplagiarismus (Rang 15)
- Verwendung unveröffentlichter Ideen oder Textpassagen anderer, ohne deren Erlaubnis einzuholen (Rang 21)
- Erneutes Publizieren einzelner und bereits veröffentlichter Daten, ohne dies offenzulegen (Rang 29)
- Duplizieren einer Publikation, ohne dies offenzulegen (Rang 36)
- Entfernen von Rohdaten vor der statistischen Analyse, ohne dies offenzulegen (Rang 45)
- Selektives Entfernen, Modifizieren oder Erfinden von Daten nach der initialen Datenanalyse (Rang 50)
- Erfinden von Daten (Rang 59)
Scientific Misconduct – Auswirkungen
Welche Arten des Fehlverhaltens haben den größten Einfluss auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse? Wie zu erwarten war, stehen hier das Erfinden und Fälschen an erster Stelle („fabrication and falsification are the largest threats“).
Die Top 5:
- Erfinden von Daten
- Selektives Entfernen, Modifizieren oder Erfinden von Daten nach der initialen Datenanalyse
- Modifizieren von Ergebnissen oder Schlussfolgerungen, weil es der Sponsor der Studie verlangt
- Wahl eines eindeutig unpassenden Studiendesigns oder einer unpassenden Messmethoden
- Verheimlichen von Ergebnissen, die früheren Befunden oder Meinungen widersprechen
Scientific Misconduct – Häufigkeit & Auswirkungen
Interessant ist auch die Top-5-Liste, wenn man beides, die Häufigkeit und die Auswirkungen, kombiniert (Produkt der Scores aus Häufigkeit und Auswirkung):
- Unzureichende Betreuung und Anleitung (Mentoring) wissenschaftlicher Mitarbeiter
- Fehlende oder unzureichende Offenlegung methodischer Einschränkungen und Fehler, die während einer Studie auftraten
- Unzureichende Dokumentation der eigenen Forschungstätigkeit
- Ignorieren eines möglichen wissenschaftlichen Fehlverhaltens anderer
- Ignorieren grundlegender Qualitätsanforderungen
Schlussfolgerung
Das Erfinden, Fälschen und Plagiieren sind die großen Todsünden der Wissenschaft – keine Frage. Viel häufiger sind jedoch andere Formen wissenschaftlichen Fehlverhaltens: das selektive Berichten und Zitieren, also das Herauspicken einzelner, genehmer Daten und Publikationen bzw. das Weglassen solcher, die nicht ins Bild passen; außerdem: eine qualitativ unzureichende, schlampige Forschung.
- selektives Berichten
- selektives Zitieren
- schlampige Forschung
Fazit
Es sind nicht immer die großen Skandale – wissenschaftliches Fehlverhalten beginnt bereits im Kleinen. Und hier sind wir alle gefordert: Es geht schlichtweg darum, sich an die Grundsätze der „good scientific practice“ [2] zu halten, auch wenn der Publikationsdruck noch so groß ist.
[2] Link zum „Verfahrensleitfaden zur guten wissenschaftlichen Praxis“ (DFG – Deutsche Forschungsgemeinschaft)
Die Misconduct-Reihe im Scientific-Writing-Blog:
- Scientific Misconduct (1): Anzeichen und Maßnahmen
- Scientific Misconduct (2): Peer-Review-Betrug
- Scientific Misconduct (3): Photoshop-Eskapaden
- Scientific Misconduct (4): Die ‚kleinen‘ (?), aber täglichen Sünden
- Scientific Misconduct (5): Die Spitze des Eisbergs?
- Ethisches Scientific Writing