Dr. Stefan Lang am 03. Juli 2017
Die schlimmste Stilsünde beim wissenschaftlichen Schreiben?
Der Stil eines wissenschaftlichen Textes wie etwa einer medizinischen Promotion ist entscheidend für den Lesefluss, das Lesevergnügen und die Überzeugungskraft. Der wissenschaftliche Schreibstil soll nüchtern und objektiv sein, aber nicht blutleer, abstrakt und fad. Daher sollten wir eine große Stilsünde vermeiden, die jeden Text blutleer, zu abstrakt und viel zu langweilig macht: der sogenannte Nominalstil.
Was bedeutet Nominalstil und warum ist er eine Stilsünde? Für Tätigkeiten benutzen wir normalerweise Verben: „Es wurde Ethanol zugegeben und die DNA gefällt“. Das entspricht unserer natürlichen Ausdrucksweise. Der Nominalstil benutzt anstelle der Verben „zugeben“ und „fällen“ Hauptwörter (Nomen = Hauptwort): „Die Fällung der DNA erfolgte durch Zugabe von Ethanol“.
Doch warum ist das schlecht? Ein Übermaß an Nonimalstil führt zu zwei Problemen, einem stilistischen und einem praktischen Problem.
Nominalstil als Stilproblem beim wissenschaftlichen Schreiben
Tritt der Nominalstil gehäuft auf, klingt der Text sehr gestelzt, sehr abstrakt und fast etwas autoritär:
- Nominalstil: Die Erweiterung [1] der Leitlinie vom 30. März 2017 beinhaltet für den Fall einer Diagnoseverzögerung [2] die Möglichkeit eines späteren Behandlungsbeginns [3].
- Natürlich: Die Leitlinie wurde zum 30. März 2017 erweitert. Demnach kann eine Behandlung später beginnen, wenn sich die Diagnose verzögert.
Die natürliche Ausdrucksweise klingt in meinen Ohren geschmeidiger, normaler und natürlicher.
Da der Nominalstil Verben durch Hauptwörter ersetzt, benutzt er weniger Verben. Verben machen einen Text jedoch lebendig. Daher klingt der Nominalstil immer etwas fad:
- Nominalstil (6 Hauptwörter, 1 Verb): Es erfolgte eine Faszienbehandlung mit Dehnung des rechten Oberschenkels mit dem Ziel der Mobilisation des Beckens.
- Natürlich (3 Hauptwörter, 2 Verben): Bei der Faszienbehandlung wurde der rechte Oberschenkel gedehnt, um das Becken zu mobilisieren.
Vom Inhalt unterscheiden die beide Varianten nicht. Es ist eine reine Stilfrage.
Gestelzt, abstrakt, autoritär und fad: Nominalstil klingt immer etwas nach Beamtensprache. Soll Ihre Promotion oder Ihr Originalartikel klingen, als sei sie oder er von einem Beamten oder einer Beamtin geschrieben worden?
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Wer einen frischen und lebendigen Text schreiben möchte, verzichtet auf den Nominalstil.
Ein ganz praktischer Grund gegen den Nominalstil
Der Nominalstil benötigt im Durchschnitt mehr Worte als die verbale Ausdrucksweise. Ist also der Abstract Ihres Originalartikels oder die Zusammenfassung Ihrer Promotion zu lang und passt nicht mehr auf eine Seite, dann würde ich zuerst den Nominalstil eliminieren.
Typische Beispiele aus den Fachbereichen Medizin & Biologie:
- zur Anwendung bringen (3) – anwenden (1)
- einer Analyse unterziehen (3) – analysieren (1)
- eine 3-fache Anreicherung erzielen (4) – 3-fach anreichern (2)
- ein Anstieg der Blutdrucks trat auf (6) – der Blutdruck stieg an (4)
- VY vermittelte eine Reduktion des Blutzuckers (6) – VY reduzierte den Blutzucker (4)
Wer prägnant schreiben möchte verzichtet auf den Nominalstil. Im Durchschnitt kann man einen Text um 20 Prozent kürzen, indem man den Nominalstil entfernt.