Dr. Stefan Lang am 23. Mai 2018

Was macht die Wissenschaftssprache „wissenschaftlich“?


Kategorie Schreib- und Publikationsprozess

Beim wissenschaftlichen Schreiben zum Beispiel einer medizinischen Doktorarbeit gibt es Stress von Außen. Äußeren Stressoren sind Software, Doktorvater, Doktormutter etc. Aber es gibt auch einen inneren Stressor, nämlich die Frage: „Oh Gott, ist mein Text überhaupt ‚wissenschaftlich‘?“

Wer noch nie einen wissenschaftlichen Text verfasst hat und nun seine Doktorarbeit schreiben will, steckt in einem Dilemma: Er oder sie weiß zwar, wie so ein wissenschaftlicher Text am Ende ‚klingen‘ muss, aber nicht wie man da hin kommt.

Die größte Sorge beim wissenschaftlichen Schreiben: Klingt mein Text überhaupt wissenschaftlich?

Und so brüten die jungen Autoren und Autorinnen über ihren Formulierungen, schreiben, löschen, schreiben, löschen, stets mit dem inneren Zensor im Kopf, der sie auslacht und höhnt: „Das klingt ja alles gar nicht wissenschaftlich!“

Der innere Zensor, diese kleine fiese Stimme im Kopf – das ist der eigentliche Stressor beim wissenschaftlichen Schreiben (Zum „inneren Zensor“ hatte ich mal einen Artikel in Forschung & LehrePublikationsliste).

Was macht meinen Text eigentlich „wissenschaftlich“?

Antwort: einfach der wissenschaftliche Inhalt. Klingt simpel? Ist es auch, denn die Wissenschaftssprache ist keine Geheimsprache, die man lernen muss. Wissenschaftssprache ist im Grunde unsere ganz normale Sprache – nur eben mit einem sehr komplexen, präzisen wissenschaftlichen Inhalt. Das gilt für die Dissertation wie für das Paper. 

Der Grund, warum wissenschaftliches Schreiben so schwer fällt, liegt also zunächst nicht in den einzelnen Worten und Formulierungen, sondern an der Herausforderung, den komplizierten Inhalt präzise auszudrücken und verständlich zu machen. Und das schafft man nur, indem man den wissenschaftlichen Fakten eine didaktisch-sinnvolle Struktur gibt, sodass der Leser sein Wissen in überschaubaren Häppchen und Schritt für Schritt erweitern kann.

Merke: Die größte Herausforderung beim wissenschaftlichen Schreiben ist nicht das Formulieren, sondern das Strukturieren.

Daher gehört auch bei meinen eigenen Schreibprojekten die Gliederung zu den zeitintensivsten Arbeitsschritten (hierzu hatte ich auch mal einen Artikel in Forschung & Lehre: „Strukturieren statt Formulieren“ [pdf-download]).

„Ok“, werden Sie vielleicht sagen, „das leuchtet ein, aber:“

Was macht einen einzelnen Satz „wissenschaftlich“?

Zunächst einmal ganz grundlegend: Einen Satz sollte man beim erstmaligen Lesen bereits problemlos verstehen können. Das gilt gerade auch für Wissenschaftstexte. Egal, wie verquast vielleicht Ihr Professor schreibt oder wen auch immer Sie sich als Vorbild ausgesucht haben – das Motto ‚unverständlich = wissenschaftlich‘ gilt nicht mehr; es stammt aus dem letzten Jahrtausend.

Merke: Einfache Sätze für komplizierte Informationen, dann klappt das auch mit dem Leser.

Und welche Worte gehören in die Wissenschaftssprache?

An die Worte einer Dissertation oder eines Papers stellt die Wissenschaft drei bestimmte Ansprüche: präzise, einfach und notwendig.

  • Präzise: Um uns in einem Wissenschaftstext präzise ausdrücken zu können, benötigen wir Fachbegriffe. „Glomeruplonephritis“ ist genauer als „nierenkrank“.
  • Einfach: Da wir also Fachbegriffe unbedingt brauchen, sollte der Rest einfach sein, um den Leser nicht zu überfordern (plain language). Wenn wir also schon von Glomerulonephritiden, Mesangium und Kapillarknäul schreiben müssen, dann sollten wir auf Fremdwörter wie eruieren, konstatieren, elaborieren verzichten. Gerade die lateinischen Fremdwörter klingen unheimlich verstaubt.
  • Notwendig: Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Nur die Anfänger erliegen der Versuchung, ihren Text durch Füllwörter aufzublähen: zwingend notwendig, anschließend folgend, braucht notwendigerweise etc.

Merke: präzise, einfach, notwendig… mehr ist es nicht.

„Gut, gut“, sagen Sie jetzt vielleicht. „Aber für Wissenschaftstexte gibt es doch diese ganzen Regeln und Vorschriften:“

Was ist mit den Querverweisen, den Quellenangaben und dem ganzen formalen Kram?

Was soll damit sein? Es ist nichts, was Sie übermäßig stressen sollte. Sie zitieren ordnungsgemäß alle fremden, publizierten Erkenntnisse, so wie es sich gehört, und benutzen dafür eine Literaturverwaltungssoftware. Fertig.

Alle Verweise im Text (Querverweise, Verweise auf Abbildungen und Tabellen) platzieren Sie konsequent zu der Information, zu der sie gehören. Auch fertig.

Für den formalen Kram besorgen Sie sich die Promotionsordnung bzw. die Autorenhinweise des Fachjournals und erstellen sich daraus eine Check-Liste. Die arbeiten Sie dann Schritt für Schritt ab, solange, bis alles so ist, wie es Ihre Universität oder das Fachjournal haben möchte. Fertig. (Beispiel für eine Check-Liste)

Merke: Formalitäten sollten niemals Kopfzerbrechen bereiten.

Fazit

  • Fangen Sie nicht einfach an, drauf los zu schreiben, sondern lassen Sie sich Zeit mit Ihrer Gliederung. Je genauer Sie Ihren wissenschaftlichen Text planen, desto leichter fällt Ihnen das anschließende Formulieren.
  • Schreiben Sie kurze und klare Sätze aus Worten, die stets präzise, manchmal einfach und immer notwendig sein sollten.
  • Erstellen Sie sich eine Check-Liste für die formalen Anforderungen an Ihre Doktorarbeit oder Ihr Paper. Dann werden Sie nämlich sehen, dass es gar nicht so viele sind.

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