Dr. Stefan Lang am 09. November 2018

Präzise wissenschaftlich schreiben


Kategorie Stilfragen

Die wichtigste Anforderung an den wissenschaftlichen Schreibstil: Präzision! Die Präzision in einem medizinisch oder klinischen Text hat verschiedene Aspekte. Wie erreicht man also einen wirklich präzisen Text? Mithilfe der folgenden fünf Fragen.

Der folgende Satz klingt präzise. Doch manchmal ist es beim wissenschaftlichen Schreiben wichtig, einen Schritt zurückzutreten, seinen Text in Ruhe zu betrachten und sich zu fragen: Bin ich präzise genug?

  • One subgroup was significantly less obese than the other.
  • Eine Gruppe war signifikant weniger übergewichtig als die andere.

Fünf Fragen, um maximale Präzision zu erreichen

Denn die wirkliche Präzision hat verschiedene Ebenen und die folgenden 5 Fragen helfen, maximale Präzision zu erreichen:

  • Was ist der Kontext?
  • Studienpopulation: Charakterisierung?
  • Intervention (Behandlung)
  • Outcome (was gemessen wurde)
  • Statistik: Verfahren und Signifikanz

(1) Was ist der Kontext?

Damit ein solcher Satz präzise genug sein kann, muss der Kontext stimmen: Aus dem Kontext muss klar werden,

  • ob es sich um die Charakterisierung einer Gruppe vor Studienbeginn handelt (dann würde das Gewicht einen potenziellen Störfaktor darstellen) oder
  • ob es ein Ergebnis ist, also etwa ein Unterschied nach erfolgter Behandlung.

(2) Studienpopulation: Wer genau wurde verglichen?

Ebenso muss aus dem Text hervorgehen, um welche Gruppen es sich hier handelt:

  • Wurden Behandlungsgruppe und Placebogruppe verglichen?
  • Wie genau wurden die Gruppen charakterisiert? Alter, Diagnose, Einschluss- und Ausschlusskriterien etc.
  • Wie hoch war der Stichprobenumfang in beiden Gruppen (wichtig für die Power-Kalkulation)?

(3) Behandlung: Was genau wurde gemacht?

Übergewicht kann auf verschiedene Arten bekämpft werden: Sport, Diät, Medikamente etc. War es eine medikamentöse Behandlung, muss der Leser unter anderem den generischen Namen des Medikamentes, den Hersteller, die Art der Verabreichung, die Dosis und die ermittelte Therapieadhärenz erfahren.

  • Medikament, generischer Name, Hersteller (Ort, Land)
  • Art und Dauer der Verbabreichung (u.a. Geschwindigkeit der Infusion)
  • Dosis
  • Therapieadhärenz

(4) Behandlungserfolg: Wie genau wurde er gemessen?

Im Falle von Übergewicht ist es scheinbar leicht, einen klaren Behandlungserfolg zu ermitteln – lässt sich doch der Body-Mass-Index (BMI) als diagnostisches Kriterium einfach bestimmen. Und dennoch lässt der oben genannte Beispielsatz ein paar Fragen offen:

  • Wurde in die Bewertung nur das einfache Übergewicht (BMI 30.0–39.9) oder auch das extreme Übergewicht (> 40) einbezogen?
  • Wurde nach Übergewichtsklassen I (30.0–34.9), II (35–39.9) und III (>40) differenziert?
  • Was bedeutet „weniger übergewichtig“ eigentlich: Gab es am Studienende prozentual weniger Übergewichtige in der Behandlungsgruppe? Oder waren alle Teilnehmer am Studienende noch übergewichtig, aber die Teilnehmer der Behandlungsgruppe wogen einfach etwas weniger?
  • Wurde eine andere Methode zur Adipositas-Diagnose herangezogen (Prozentualer Fettanteil, Bauchumfang etc.)?

(5) Statistik: Welche Verfahren wurden eingesetzt?

Und wie wurden die Unterschiede ermittelt?

  • Mithilfe welcher statistischen Methode wurde der Unterschied zwischen den Gruppen berechnet?
  • Wie groß war der Unterschied eigentlich?
  • Und was meinen die Autoren mit „signifikant“? Ein p-Wert wäre schön oder ein 95%-iges Konfidenzintervall.
  • Abgesehen von der Statistik: War das Ergebnis damit auch klinisch relevant? Wenn sich der BMI von durchschnittlich 39.9 auf 38.1 gesenkt hat, wohl eher nicht. Auch eine Beurteilung der klinischen Relevanz gehört zur Präzision.

Fazit: Präzision beim wissenschaftlichen Schreiben

Will man für seinen wissenschaftlichen Text maximale Präzision, sollte man sich mit diesen fünf Fragen beschäftigen.

Hat man diese Aspekte ausreichend berücksichtigt, wird es ein sehr präziser Text werden. Und den brauchen Sie – für Ihr Research Paper, Ihre Doktorarbeit oder Ihr wissenschaftliches Poster.