Dr. Stefan Lang am 22. Oktober 2019
Medizinische Studien: Darf man Daten für sich behalten?
Kategorie Schreib- und Publikationsprozess
Fälschung, Betrug und Plagiate – daran denkt man, wenn man die Worte „wissenschaftliches Fehlverhalten“ liest. Aber eine andere Form des Fehlverhaltens ist ähnlich schlimm und gar nicht mal so selten: Das Verschweigen bzw. Nicht-Publizieren unliebsamer Daten – gilt auch für die medizinische Doktorarbeit und das wissenschaftliche Paper.
Nach meinen zahlreichen Artikeln zum wissenschaftlichen Fehlverhalten in Labor oder Klinik (Links unten auf dieser Seite) kommt hier ein weiteres Thema dazu: Das Non-Reporting, also das Nicht-Publizieren unliebsamer Daten. Das ist ein Phänomen, das nicht nur die Studien von Big-Pharma betrifft, sondern auch die Studien und Experimente kleiner Institute und Labore.
Non-Reporting in den klinischen Studien von Big Pharma
Das ist kein Spaß: Wenn ein Unternehmen zum Beispiel die Wirksamkeit und Sicherheit eines neuen Medikamentes oder Gerätes in einer klinischen Studie testet, dann aber feststellt, dass die Ergebnisse Wirksamkeit und Sicherheit eben nicht belegen können.
Werden diese „negativen“ Ergebnisse nicht publiziert, werden Patienten eventuell falsch behandelt und Wissenschaftler verschwenden Geld und Zeit, weil sie vielleicht diese wirkungslosen Medikamente erneut testen.
Und auch die Probanden, an denen die neuen Medikamente erprobt wurden, sollten sich hintergangen fühlen. Denn sie wollten ja einen wichtigen Beitrag zum medizinischen Fortschritt leisten und haben Mühen und Risiken auf sich genommen. Laut einer Untersuchung aus 2013 betrifft das etwa ein Viertel der Probanden der größeren Studien (Jones et al. 2013).
Alle Ergebnisse klinischer Studien müssen also in peer-reviewed Journalen oder online, zum Beispiel bei ClinicalTrials.gov publiziert werden. Das sollte sofort geschehen und nicht erst Jahre später. Denn sind erst einmal vier Jahre ins Land gegangen, wird es sehr unwahrscheinlich, dass die Ergebnisse überhaupt noch veröffentlich werden (Tatsioni et al. 2019).
Non-Reporting in medizinischen Doktorarbeiten
Das ist jedoch nicht nur ein Problem von Big-Pharma. Wenn in medizinischen Instituten unliebsame Labordaten verheimlicht werden, weil sie vielleicht die Hypothese der Arbeitsgruppe infrage stellen, ist es ganz ähnlich: Forschungsgelder werden verschwendet – ganz zu schweigen von der Lebenszeit, Energie und Motivation nachfolgender Doktoranden/innen– Generationen.
Daher gehört es zur guten wissenschaftlichen Praxis auch über negative Ergebnisse zu berichten. Zunächst einmal bei der nächsten Arbeitsgruppen-Besprechung. Das mag vielleicht schwerfallen, weil man denkt, man würde als „Looser“ dastehen, dessen Experimente nicht klappen.
Und auch in seiner Doktorarbeit darf man nichts „schönschreiben“, sondern muss die Dinge klar beim Namen nennen: „Die Hypothese konnte nicht bestätigt werden. Ist halt so.“
Kann man negative Ergebnisse auch veröffentlichen?
Es gibt auch Journals, in denen man negative Ergebnisse publizieren kann, zum Beispiel das Journal of Negative Results in BioMedicine. Bent Brachvogel, Leiter der Experimentellen Neonatologie in Köln und Herausgeber dieses Journals, sagt außerdem:
„Vielleicht würde es helfen, wenn etablierte Magazine mit hohem Impact-Faktor eine Rubrik für solche (gemeint: negative) Ergebnisse einführen – und wenn Magazine, die sich für negative Ergebnisse einsetzen, einen entsprechenden Impact-Faktor erhalten.“ (Zitat aus: Lübke F, Helmholtz-Gemeinschaft 2015; zitiert am 21.10.2019).
Fazit: Man darf keine Daten für sich behalten
Es ist also nicht nur unwissenschaftlich, sondern auch ethisch fragwürdig, wenn unliebsame Daten verschwiegen werden. Es ist also ein wissenschaftliches Fehlverhalten. In der Vergangenheit hatte ich bereits einige Blog-Artikel zum Scientific Misconduct: