Dr. Stefan Lang am 30. September 2020

Entscheidungshilfe wissenschaftliches Schreiben: wann Aktiv, wann Passiv?


Kategorie Stilfragen

Alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schreiben tendenziell zu viel im Passiv. Die Folge: Die Doktorarbeiten, Paper und Forschungsanträge klingen schwerfällig, distanziert und abstrakt. Wollen Sie das Lesevergnügen Ihrer Gutachter und Leser steigern?  Dann lesen Sie meine Entscheidungshilfe zur Frage: Soll ich aktiv oder passiv schreiben?

Es gibt drei einfache Entscheidungshilfen beim wissenschaftlichen Schreiben, die Ihnen sagen, wann Sie aktive Sätze formulieren sollten:

  1. Für spezifische Informationen aktiv, für Allgemeines passiv
  2. Stellen Sie das „Wichtigste“ an den Satzanfang und schreiben Sie entsprechend aktiv oder passiv weiter.
  3. Schreiben Sie im Zweifelsfall aktiv.

[1] Spezifisch aktiv, allgemein passiv

Für spezifische Aussagen sollte man aktive, für allgemeine Aussagen darf man passive Formulierungen benutzen (Ausnahme ist der Abschnitt Methodik, der naturgemäß vorwiegend im Passiv steht; das gilt für Doktorarbeit und Paper).

  • Die Arbeit von Müller et. al. [3] zeigte eine erhöhte …“: Hier handelt es sich um eine spezifische Publikation, deswegen aktiv.
  • In verschiedenen Studien wurde eine erhöhte … beschrieben [3-8].“ Eher allgemein, da ein Sachverhalt durch mehrere Arbeiten gezeigt wurde. Hier ist das Passiv in Ordnung.

[2] Das „Wichtigste“ an den Satzanfang

Zweite Entscheidungshilfe fürs wissenschaftliche Schreiben: Aus dem Satzanfang ergibt sich, ob der Satz aktiv oder passiv formuliert werden muss. Und am Satzanfang steht das, was Sie betonen möchten:

Beim wissenschaftlichen Schreiben kann man entweder der Wirkstoff XY oder den Rezeptor YZ betonen. Entsprechend schreibt man dann aktiv oder passiv weiter.
  • „Der Wirkstoff XY blockiert spezifisch YZ-Rezeptoren.“ Aktive Sätze betonen den Täter. Hier ist das der Wirkstoff XY.
  • „YZ-Rezeptoren werden spezifisch durch XY blockiert.“ In diesem passiven Satz steht das Objekt im Zentrum: Wichtig ist, dass die Rezeptoren blockiert werden.
  • „YZ-Rezeptoren wurden immunologisch nachgewiesen.“ Dieser passive Satz kommt ganz ohne „Täter“ aus, denn es ist egal, wer die Rezeptoren nachgewiesen hat. Die Betonung liegt auf der „Tat“.
  • „Müller et al. [23] found increased glucose concentrations in astronauts.“ Es handelt es sich um ein wegweisendes Paper. Da sollte man den Namen des Erst-Autors nennen.
  • „The National Academy of Sciences supported our study.“ Die aktive Formulierung betont, dass eine wichtige Institution unsere Studie richtig gut fand.
  • „The study was approved by the ethics commitee.“ Bei der passiven Formulierung geht es einzig allein um die Feststellung: „Die Studie wurde genehmigt.“

[3] Im Zweifelsfall aktiv

Wenn Sie sich im Unklaren sind, ob die eine oder andere Entscheidungshilfe angewandt werden kann, dann schreiben Sie im Zweifelsfall einen aktiven Satz. Denn wir neigen alle von Natur aus dazu, in der Wissenschaft eher passive Formulierungen zu benutzen.

Das steht jedoch im krassen Gegensatz zu unserer natürlichen Ausdrucksweise, die vorwiegend aktiv ist. Um also auch die Wissenschaft ein wenig lebendiger und natürlicher zu klingen, sollte man so oft es geht ins Aktive wechseln.

  • Natürliche Ausdrucksweise: < 5% passiv
  • Fachtexte: > 70% passiv
  • Fachtexte mit den genannten Entscheidungshilfen: 30% bis 40% passiv (das ist in Ordnung)