Dr. Stefan Lang am 20. September 2017

Scientific Writing – die Verständlichkeit wird immer schlechter


Kategorie Kampagne für Verständlichkeit

Scientific-Writing-Kurse an Universitäten, unzählige Schreibratgeber, Online-Tutorials – braucht es so viele Trainingsangebote im wissenschaftlichen Schreiben? Offensichtlich ja, wie ein Artikel zur Verständlichkeit der Wissenschaftssprache in Originalartikeln (Paper) eindrucksvoll beweist.

Lesbarkeit und Verständlichkeit wissenschaftlicher Artikel (Paper)

Research: The readability of scientific texts is decreasing over time – so heißt ein 2017 erschienenes Paper von Pontus Plavén-Sigray et al., erschienen in eLife 2017;6:e27725.

Die Autoren untersuchten zunächst 709 577 Abstracts, die zwischen 1881 und 2015 in 123 verschiedenen biomedizinischen Journals publiziert wurden – keine Wald- und Wiesen-Journals, sondern durchaus hochrangige Fachjournale wie Nature, Science, NEJM, The Lancet, PNAS und JAMA.

Methode: Untersuchungsparameter

Flesch Lesbarkeitsindex

Die Abstracts wurden mithilfe des Flesch Lesbarkeitsindex (Flesch-Reading-Ease) untersucht. In diese Formel gehen Satzlänge (ASL) und die Zahl der Silben pro Wort (ASW) ein:

  • FRE = 206,835 – (1,015 x ASL) – (84,6 x ASW).

Je höher das Ergebnis, desto verständlicher.

New Dale-Chall Readability Formula

Der New Dale-Chall Readability Formula untersucht die Zahl der Worte pro Satz (ASL) und den Anteil schwieriger Worte (PDW) in einem Text (Chall and Dale. 1995. Readability revisited: The new Dale-Chall readability formula. Brookline Books):

  • Raw Score = 0.1579 x (PDW) + 0.0496 x (ASL).

Je höher der Wert, desto anspruchsvoller der Text.

Ergebnis [1]: Die Verständlichkeit der Abstracts nimmt ab.

Über den untersuchten Zeitraum hat der Flesch-Index beständig ab- und der New Dal-Chall-Index kontinuierlich zugenommen – die Lesbarkeit der wissenschaftlichen Abstracts hat sich also zunehmend verschlechtert.

Abnahme der Lesbarkeit und Zunahme der Komplexität von Wissenschaftsartikeln.
Vereinfachte Darstellung des Ergebnisses aus: Pontus Plavén-Sigray et al. Research: The readability of scientific texts is decreasing over time. .

Ergebnis [2]: Die Verständlichkeit der vollständigen Paper nimmt ab.

Ok, Abstracts unterliegen eigenen Gesetzen. Um seine Ergebnisse in den limitierten Word Count unterzukriegen, muss man eine sehr komplexe Sprache wählen – das macht das Lesen nicht leichter (Dronberger and Kowitz, 1975).

Daher bestätigten Pontus Plavén-Sigray et al. ihre Ergebnisse zusätzlich an 143 957 Artikeln in voller Länge. Auch hier zeigte sich, dass Lesbarkeit und Verständlichkeit der Paper zunehmend abnahmen.

Diskussion

Plavén-Sigray et al. diskutierten als mögliche Erklärung zwei Korrelationen – die steigende Zahl der Ko-Autoren und eben auch die zunehmenden Verwendung des typischen Wissenschaftsjargons.

Warum werden Paper immer unverständlicher?

Ich denke, es liegt an folgenden Punkten:

  • Die Sätze werden immer länger. Verständlichkeitskiller Nummer 1.
  • Die Worte werden immer länger. Hepatotumorigenicity, Tumorzelldifferenzierung, Prostatakarzinompatienten.
  • In Abstracts und vollständigen Wissenschaftsartikeln wird zunehmend im Jargon geschrieben – damit meine ich keine Fachbegriffe, die ja notwendig sind, sondern die nichtssagenden Floskeln, die ich schon mehrmals hier angesprochen habe: Jargon.

Schwer verständliche Wissenschaftstexte – liegt das nicht in der Natur der Sache?

Natürlich wird die Biomedizin und Life-Science-Forschung mit all ihren neuen Methoden immer komplexer. Ein Grund mehr, sich um eine besser lesbare und verständlichere Wissenschaftssprache, also einer Sprache zur Kommunikation unter Wissenschaftlern, zu bemühen. Aus zwei Gründen:

Mein Fazit aus diesem Artikel

Es gibt noch viel zu tun. Vor allem muss unter Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen ein Umdenken stattfinden: Die Kommunikation mit anderen Wissenschaftlern gehört zum Job. Möchte man seinen Job gut machen, kümmert man sich um eine erfolgreiche Kommunikation – mit klaren und verständlichen Texten.